Telefon

1923

Die Geschichte und die Bedingungen der anthroposophischen Bewegung im Verhältnis zur Anthroposophischen Gesellschaft
Eine Anregung zur Selbstbesinnung
GA 258 (3. Auflage 1981), 3. Vortrag, Dornach, 12. Juni 1923, S. 54 f.

„[…] Man läßt sich in dieser Beziehung täuschen durch die großen Fortschritte, die gemacht worden sind. Aber gerade wenn man diese großen Fortschritte, die heute gemacht worden sind, im Zusammenhange betrachtet mit dem Gang des Geisteslebens, insofern sich die einzelnen menschlichen Persönlichkeiten als urteilsfähige Persönlichkeiten hineinstellen in diesen Gang des Geisteslebens, dann wird man, ich möchte sagen, einen Hintergrund bekommen für die Kapazität, mit der unser Zeitalter überhaupt Erscheinungen, die an das Urteilsvermögen der Menschen appellieren, gegenübertritt.
Man müßte wirklich außerordentlich vieles nennen. Ich möchte nur ein klein wenig herausgreifen. Ich frage zum Beispiel diejenigen, die heute sich fachmännisch oder nur dilettantisch, sagen wir, mit Elektrotechnik befaßt haben, was für die Elektrotechnik heute das sogenannte Ohmsche Gesetz bedeutet? Man wird  natürlich dann zur Antwort bekommen: Das Ohmsche Gesetz bildet eine der Grundlagen für die Entwickelung der ganzen Elektrotechnik. –
Als Ohm die erste Arbeit geleistet hatte, die grundlegend war für sein später sogenanntes Ohmsches Gesetz, da wurde diese Arbeit von einer berühmten philosophischen Fakultät an einer Universität als unbrauchbar zurückgewiesen. Wäre es nach dieser philosophischen Fakultät gegangen, so könnte es heute gar keine Elektrotechnik geben.
Dann etwas, was Ihnen vielleicht noch handgreiflicher ist: Sie wissen alle, was heute das Telephon in unserem ganzen Kulturleben bedeutet. Als der außerhalb der offiziellen Wissenschaft stehende Reis zum ersten Male die Idee des Telephons aufschrieb und das Manuskript einer der berühmtesten Zeitschriften der damaligen Zeit, den Poggendorffschen Annalen, überreichte, wurde die Arbeit als unbrauchbar zurückgewiesen. Sehen Sie, so groß ist die Schlagkraft
des Urteiles, die eben in den Menschen ist, und man könnte diese Beispiele ins Unermeßliche vermehren. Ja, so groß ist die Schlagkraft des Urteils in unserer Zeit! Man muß diesen Dingen nur mit voller Objektivität eben gegenüberstehen. […]“