Technik

1923

Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung

GA 326 (3. Auflage, 1977), 9. Vortrag, Dornach, 6. Januar 1923, Seite 149 – 152

„[…] Ein einzelner in einem einzelnen physischen Leben könnte das vielleicht machen, wenn dieses physische Leben sechshundert Jahre lang dauern würde. Aber dann würden schon wieder andere Aufgaben da sein, und man wäre längst veraltet mit demjenigen, was man erarbeitet hat. Was für die Menschheit geleistet werden soll, muß auch in menschlichem Zusammenarbeiten und Zusammenwirken geleistet werden. Also müssen Zusammenarbeiten und Zusammenwirken entstehen. Das ist dasjenige, was nun die zweite Aufgabe ist. Und ich glaube, am klarsten und radikalsten gehen diese Aufgaben der Anthroposophischen Gesellschaft gerade aus einer wirklichen realen Betrachtung der Geschichte der Naturwissenschaft in der neueren Zeit hervor.
Diese Geschichte der Naturwissenschaft der neueren Zeit zeigt uns auf jedem Blatte, daß damit etwas Großartiges heraufgekommen ist, denn man konnte niemals früher das wirkliche Tote betrachten, daher auch aus dem Toten nichts machen. Man konnte nie früher den innerlichen Schein wirklich betrachten, daher auch niemals einen innerlichen Schein durch Menschenkraft beleben, also auch nicht zur Freiheit kommen. Heute stehen wir vor einer grandiosen Welt, welche allein möglich geworden ist dadurch, daß die Naturwissenschaft das Tote betrachtet, das ist die Welt der Technik, die schon dadurch sich in ihrer besonderen Weise verrät, daß das Wort aus dem Griechischen genommen ist, wo es noch die «Kunst» bedeutet, daher Kunst verrät, wo die Technik noch Geist enthält. Heute ist sie die Verarbeitung des Geistes nur im Sinne der abstrakten, geistlosen Gedanken, und wir stehen gerade vor dem Technischen heute so, daß wir uns sagen müssen: Wir haben es erreichen können nur dadurch, daß wir eine richtige Erkenntnis von dem Toten erlangt haben. Dieses war notwendig, daß die Menschheitsentwickelung einmal ordentlich hinschaute auf das Reich des Toten. Dadurch ist sie eingetreten in das Reich der Technik. Jetzt steht aber der Mensch da innerhalb dieses Reiches der Technik, das ihn überall umgibt, jetzt steht er da, er blickt in dieses Reich der Technik: Das ist endlich einmal ein Gebiet, wo gewiß kein Geist im wirklichen Sinne drinnen ist. Daß man in der Technik, in bezug auf das Geistige der Technik auf jedem Gebiete jene innerliche Empfindung hat, die fast der Schmerzempfindung über das Hinsterben eines Menschen entspricht, darauf kommt es an. Denn wenn man in der Erkenntnis auch Empfindung und Gefühl entwickeln kann, so wird man ein, wenn auch ein andersgeartetes Gefühl haben, wie man es hat beim Hinsterben eines Menschen, wo aus dem lebendigen Organismus ein Leichnam wird, wie man es hat, wenn man einen Leichnam anschaut. Ein solches Gefühl wird man neben der abstrakten, gleichgültigen, kalten Erkenntnis bei der wirklichen Erkenntnis haben, daß die Technik die Verarbeitung des Toten ist. Dann wird dieses Gefühl der stärkste Antrieb sein, den Geist zu suchen auf neuen Wegen.
Und eigentlich konnte ich mir vorstellen, daß ein Bild der Zukunft dieses ist, daß der Mensch steht über all den Schornsteinen, über all den Fabriken, über all den Telephonen, über all demjenigen, was in wunderbarer Weise die Technik hervorgebracht hat in der neuesten Zeit wie über einer großen bloß mechanischen Erde, daß er über diesem Grab alles Geistigen steht und seinen sehnsuchtsvollen Ruf hin erschallen läßt in das Weltenall – seine Sehnsucht würde ihm erfüllt. Denn geradeso wie aus dem toten Stein, der ganz gewiß tot ist, durch die richtige Behandlung herausschlägt das lebendige Feuer, so muß aus der toten Technik der lebendige Geist sich ergeben, wenn die richtig die Technik fühlenden Menschen da sind.
Und auf der anderen Seite: Man muß sich nur klar sein, was das reine Denken, das heißt jener Schein ist, aus dem herausgeholt werden können die stärksten moralischen Antriebe, die individuellen moralischen Antriebe, wie ich sie in der «Philosophie der Freiheit» geschildert habe, dann wird der Mensch in einer neuen Weise vor jener Empfindung stehen, vor der einst Nikolaus der Kusaner, vor der Meister Eckhart gestanden haben. Sie sagten: Wenn ich mich erhebe über alles dasjenige, was ich zunächst zu beobachten gewohnt bin, komme ich zu dem «Nicht» mit allem, was ich gelernt habe. Aber in dem «Nicht» ersteht mir das «Icht», das Ich. – Wenn der Mensch nur ganz richtig zum reinen Denken vordringt, dann findet er in diesem reinen Denken das Nicht, das zum Icht wird, zum Ich wird, aus dem aber die ganze Fülle der ethischen Handlungen hervorgeht, die neu weltschöpferisch sind. Und ich könnte mir einen Menschen vorstellen, der zunächst, indem er alle Erkenntnis der Gegenwart, wie sie gerade durch die Naturwissenschaft inauguriert worden ist, auf sich wirken läßt und jetzt in der neueren Zeit, Jahrhunderte nach dem Meister Eckhart und nach Nikolaus Cusanus, den Blick in das Innere richtet und mit der heutigen Denkweise an diesem Nicht des Inneren ankommt, und wie er in diesem Nicht entdeckt, wie jetzt erst recht der Geist zu ihm spricht. Und ich könnte mir vorstellen, daß sich diese zwei Dinge vereinigen, daß der Mensch auf der einen Seite ginge an den Ort, wo die Technik in öder Weise allen Geist verläßt, und daß er da den Ruf hinaus richtet in die Weltenfernen nach dem Geiste; wenn er sich dann besänne und also in sein Inneres blickte, wie ich es jetzt eben bezeichnet habe, daß er dann aus dem Inneren heraus die göttliche Antwort auf seinen in
die Weltenfernen hinausgesandten Ruf empfangen würde. Wenn wir lernen, durch eine neue, anthroposophisierte Naturwissenschaft die Rufe in die Welt hinaus in unendlicher Sehnsucht nach dem Geistigen in unserem Inneren erschallen zu lassen, dann wird das der richtige Ausgangspunkt sein, daß wir auch finden können durch eine anthroposophisierte Innenerkenntnis die Antwort auf diesen sehnsuchtsvoll in die Welten hinaus geschrieenen Ruf nach dem Geistigen. […]“

1922

Menschliches Seelenleben und Geistesstreben
Im Zusammenhange mit Welt- und Erdenentwicklung

GA 212 (2. Auflage, 1998), 5. Vortrag, Dornach, 7. Mai 1922

Gesamter Vortrag interessant im Bezug auf die Tecknik. Im Bezug zum Kino, zitiert hier.